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Ein Interview mit Stefan Schulzki

Rückblick

Wie sind Sie (a) zur Filmmusik allgemein und (b) zur Donna Leon Reihe gekommen?

In meiner Jugend war ich ein leidenschaftlicher Kinogänger und dachte viele Jahre lang daran, selbst einmal Filme zu machen! Erst mit 18 entschied ich mich für eine musikalische Laufbahn, was zur Folge hatte, dass ich mich in den darauffolgenden zehn Jahren umso intensiver mit der Musik auseinandersetzte, auch wenn sie mich schon mein ganzes Leben zuvor immer begleitet hatte. Dann hörte ich von der Filmakademie in Ludwigsburg. Der dort angebotene Aufbaustudiengang „Filmmusik und Sounddesign“ schien mir ein idealer Ausgangspunkt zu sein, um meine vielfältigen Interessen unter einen Hut zu bringen. Gleichzeitig studierte ich noch Komposition an der Musikhochschule Mannheim bei Prof. Ulrich Leyendecker, was aufgrund einer glücklichen Verteilung des Unterrichts an beiden Institutionen problemlos möglich war.
An der Filmakademie hatte ich das große Glück, dass Nico Hofmann durch meine Arbeiten für Studentenfilme auf mich aufmerksam wurde. Ihm habe ich meinen Einstieg beim Fernsehen und auch meine Mitarbeit an den Donna-Leon-Filmen zu verdanken.

Was schätzen Sie an den Brunetti-Filmen, was sind die musikalisch größten Herausforderungen?

Die Schauspieler sind hervorragend, und ihre Figuren habe ich schon längst ins Herz geschlossen. Zudem mag ich Kriminalfilme im Allgemeinen, vor allem wohl aufgrund meiner Faszination für Extreme, die ja in diesem Genre üblicherweise besonders stark berührt werden. Andererseits finde ich die Öffnung durch die eher leichten, teilweise sogar komödiantischen Handlungsstränge ziemlich wohltuend. Und nicht zuletzt übt Venedig auf mich einen besonderen Reiz aus durch seine ganz spezifische Athmosphäre aus mediterraner, unvergleichlicher Schönheit einerseits und ihrem unaufhaltsamen Zerfall andererseits – allein das kann schon sehr inspirierend wirken, was z.B. auch Filme wie „Tod in Venedig“ oder „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ beweisen.
Die musikalische Herausforderung liegt, denke ich, wohl in der Quantität – die meist doch eher zahlreichen Figuren und Handlungsebenen implizieren bereits eine gewisse Fülle an thematischem Material; hinzu kommen die relativ hohe durchschnittliche Musik-Gesamtdauer sowie die Tatsache, dass es sich grundsätzlich um eine in erster Linie orchestral geprägte Filmmusik handelt.

Erarbeiten Sie die Scores nach einem bestimmten System?

Im Prinzip vermeide ich jegliche Routine und suche nach ständig neuen und somit individuellen Lösungen und Vorgehensweisen. Aber letztlich steht am Anfang der Arbeit immer die intensive Auseinandersetzung mit dem Film, um ein durch dessen Struktur geprägtes Konzept zu erarbeiten. Erst wenn ich mir mit diesem musikalischen Grundgerüst sicher bin, die dramaturgischen Ziele klar sind, das vorerst oder voraussichtlich zu verwendende klangliche Material vorbereitet und alle Themen auch in ihrem Nebeneinander stimmig vorgezeichnet sind, beginnt für mich die konkrete Ausarbeitung. Aber das Wichtigste ist für mich immer das möglichst intensive Eintauchen in die ganz eigene Welt des jeweiligen Filmes (was wohl ganz allgemein für jede gestalterische Arbeit gilt). Jeder Film hat seine eigenen Gesetze, und die möchte ich verinnerlicht haben, um ihnen dann praktisch blind – und gleichzeitig so wach wie möglich – folgen zu können. Wenn mich dann dieses Fieber gepackt hat und ich garnicht mehr weg will von der Arbeit, dann fühle ich mich wohl – diesen Zustand versuche ich immer so schnell wie möglich zu erreichen.

Von Ihren eigenen älteren Scores, welcher ist ihr persönlicher Favorit, welchen mögen sie im Nachhinein weniger?

Ich liebe die Abwechslung und die Vielfalt, von daher: Wenn ich schon einen Favoriten nennen muss, dann wähle ich bewusst ein Beispiel, dass mit Donna Leon möglichst wenig zu tun hat: Einer meiner letzten Studentenfilme war „Auf Angriff“ von Michael Geier. Dazu entstand eine Musik, in der schnelle Rhythmen auf einer von Gabriel Holz rein akustisch gespielten Stahlsaitengitarre zusammentreffen mit dem meist mehrspurig übereinandergeschichteten, improvisierten Gesang der Jazz-Vokalistin Anika Köse, ergänzt durch eine Hammond-Orgel. Was ich daran u.a. mag, ist die Tatsache, dass dieser Score zwar stark von moderner Tanzmusik beeinflusst ist, aber dennoch fast gänzlich ohne Percussion auskommt (obwohl ich ansonsten überhaupt nichts gegen Schlagzeug habe, im Gegenteil).

Womit ich inzwischen weniger zufrieden bin? Ehrlichgesagt, ich muss in meiner Filmografie immer nur maximal 1-2 Jahre zurückgehen, um dann festzustellen, dass ich mittlerweile doch wieder so Manches dazugelernt habe und das ein oder andere gerne anders gemacht hätte, auch wenn ich mir damals – wie immer – fest vorgenommen hatte, diesmal meine bisher beste Arbeit zu leisten…
(Aber ich werde mich hüten, da irgendwelche Namen preiszugeben!)

Zu “Blutige Steine”

Gibt es größere Unterschiede in Ihrem Herangehen zwischen diesem neuen & den älteren Brunetti Scores?

„Blutige Steine“ ist nicht meine einzige Brunetti-Musik mit ethnischen Elementen, aber sie ist diejenige, die praktisch kein einziges an einen Filmcharakter gebundenes musikalisches Motiv aufweist – stattdessen beziehen sich alle Themen auf einen größeren Kontext und sind somit den Figuren übergeordnet.
Doch einen wirklich bemerkenswerten Unterschied bei der Herangehensweise gab es nur bei der Erstellung der afrikanischen Gesangspassagen – dazu gleich mehr.

Bei “Blutige Steine” arbeiteten Sie mit Sitchet Njamy zusammen. Wie kam es zu der Kooperation und wie verlief diese?

Ich suchte im Internet nach afrikanischen Sängern in Deutschland und fand Njamy, den man inzwischen vor allem unter dem Namen Njamy Sitson kennt. Damals lebte er zufällig, und natürlich sehr praktischerweise, in der selben Stadt wie ich.
Er kam nach einem ersten vorbereitenden Treffen zu mir ins Studio, und ich erklärte ihm nochmal etwas ausführlicher den Inhalt des Filmes. Zuvor hatte ich mir überlegt, in welchen Szenen des Filmes ich mit Gesang arbeiten könnte. Ich gab Njamy für jede dieser Stellen ein paar wenige Vorgaben, nach denen er dann improvisierte. Wo ich es für nötig hielt, führte ich ihn durch wenige Anweisungen oder Erklärungen noch mehr in eine bestimmte, von mir gewünschte Richtung. Njamy`s Improvisationen waren vorwiegend polyphon – er sang z.B. als erste Stimme eine Begleitung ein, dann kamen eine Melodie- und gleich noch eine weitere Nebenstimme hinzu.
Eine Herausforderung bestand darin, dass afrikanische Musik in der Regel Freude vermittelt, in diesem Film jedoch nichts Geringeres als das Sterben eines ganzen Volkes thematisiert wird! Daher spielte Njamy auch, alternativ zu einer gesungenen Begleitspur, eine instrumentale Rhythmusschleife mit der Mbira (Kalimba) ein – dieses Instrument bringt seinen Angaben zufolge in seiner Heimat vor allem Einsamkeit und Melancholie zum Ausdruck.
Aufgrund seiner besonderen Konzentration während der Aufnahmen entstanden diese innerhalb kürzester Zeit. Diese ersten Stücke dienten mir als Grundlage, um sie mit orchestraler Filmmusik zu harmonisieren, sodass daraus größtenteils Mischformen aus afrikanischem Gesang und westlicher Orchestermusik entstanden, die dann an die betreffenden Stellen im Film angepasst wurden.
Als die Komposition der Filmmusik zum ersten Mal vollständig abgeschlossen war, kam Njamy noch ein zweites Mal ins Studio, um noch letzte kleine Änderungen oder Ergänzungen einzusingen bzw. einzuspielen, deren Notwendigkeit sich erst während der konkreten Arbeit an dem Score herausgestellt hatten.

Welches sind Ihrer Meinung nach die musikalischen Schlüsselstellen?

In der Szene, in der Nando erwacht und zum ersten Mal mit seiner Schwester spricht, wird ein melancholisches Thema etabliert, das im weiteren Verlauf einige Male variiert wird. Dieses Thema steht sinnbildlich für die Tragik des Bürgerkrieges, in dem Nandos Volk unterzugehen droht. Gegen Ende der Szene beginnt ein zunächst leise mit Trommeln geschlagener Rhythmus, der in die nächste Szene mündet, sich dort langsam sowohl im Tempo als auch in der Instrumentation steigert und dabei auch das Metrum wechselt. In dieser relativ groß angelegten, mehrere Szenen verbindenden Steigerung ging es mir darum, bereits innerhalb des ersten Filmdrittels das Ausmaß und die komplexe Verzweigung der im Film thematisierten Konflikte spürbar zu machen.

Wird man Ihre Musik in Zukunft auch bei weiteren Donna Leon Verfilmungen hören können?

Die nächsten Verfilmungen stehen wohl erst in 2010 an, da weitere Brunetti-Romane erst wieder geschrieben werden müssen. Über eine erneute Beteiligung meinerseits kann ich deshalb im Augenblick nur sagen, dass ich mich darüber sehr freuen würde!

Jürgen Himmelmann